Statement zur Entscheidung der Härtefallkommission zu Robert A. Ein Abgesang auf die sächsische Geschichte der Menschenrechte

Die sächsische Härtefallkommission hat am Freitag, den 13. September gegen Robert A. aus Chemnitz gestimmt. Jetzt droht ihm eine Abschiebung nach Serbien, einem Land, in dem er noch nie war und dessen Sprache er nicht spricht. Robert ist entsetzt:

Mir ist nie die Chance für ein gesellschaftlich normales Leben gegeben worden! Weder Gerichte, noch die Ausländerbehörde oder die Härtefallkommission haben dazu beigetragen, dass sich das ändert.“

Obwohl die Chemnitzer Behörden Robert, seit er Säugling war, als staatenlos einstuften, gehen sie dennoch davon aus, dass er serbischer Staatsbürger ist, weil seine Eltern die serbische Staatsbürgerschaft besitzen. Doch seine Versuche, einen Pass bei der serbischen Botschaft zu beantragen, scheiterten bislang. Unklar bleibt auch weiterhin, ob die serbischen Behörden ihm eine Staatsbürgerschaft zuerkennen. In Deutschland unterstellten ihm die Behörden jahrelang, nicht an der Klärung seiner Identität mitzuwirken. Doch das Gegenteil war der Fall. Robert setzte sich unermüdlich dafür ein, seine eigene offizielle Identität zu bekommen. Schließlich wollte er ein normales Leben führen. Immer wieder erfolglos beantragte er in den Niederlanden, wo er geboren wurde, die Ausstellung seiner Geburtsurkunde. Nach 15 Jahren Kampf um die wichtigste Urkunde seines Lebens mit Hilfe einer Anwältin war es endlich soweit. Als er das Dokument endlich stolz in den Hände hielt und der Ausländerbehörde vorzeigen wollte, nahmen ihn die Behörden direkt vor Ort in Abschiebehaft (1). Das war vor ein paar Monaten im Juni. Der Schock sitzt Robert bis heute in den Gliedern.

Aus der Zelle sollte er direkt nach Serbien abgeschoben werden. Die Behörden hatten ihn bereits zum Flughafen in Frankfurt a.M. gebracht, als der sächsische Innenminister Armin Schuster ihn wieder zurückrufen ließ. Großer öffentlicher Widerstand hatte sich breit gemacht hatte. Trotz Sommerferien waren mehr als 200 Menschen in Chemnitz auf die Straße gegangen, und Tausende hatten eine Petition unterschrieben. Die Landesdirektion, die für die Abschiebung zuständig war, wollte den Fall daraufhin noch einmal prüfen. Zeitgleich bemühte sich Roberts Anwalt um eine konstruktive Bleiberechtslösung mit der Ausländerbehörde. Doch die Behörde war daran nicht interessiert, und unter dem Motto “Jetzt erst recht” lehnten sie sämtliche Gesuche ab. Parallel dazu stellte Robert mit seinem Unterstützernetzwerk einen Antrag auf Aufnahme in die Härtefallkommission. Die Kommission, die an den sächsischen Ausländerbeauftragten angegliedert ist, bewilligte den Antrag. Bis zur Verhandlung war Robert’s Abschiebung daraufhin erst einmal ausgesetzt.

Ein dauerhaftes Bleiberecht für Robert, kann die Härtefallkommission nur mit einer Befürwortung von zwei Dritteln ihrer insgesamt neun Mitglieder erwirken. Die Mitglieder der Kommission setzen sich aus Mitgliedern von Politik, Kirche und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Mit ihren Stimmen können sie für Antragsteller*innen wie Robert dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorbringen und den Innenminister “ersuchen”, eine Aufenthaltserlaubnis anzuordnen. Für Robert entschied die Härtefallkommission am Freitag, den 13. September. Die Mitglieder diskutierten über mehrere Stunden. Sie hatte zahlreiche Unterstützungsschreiben von verschiedenen Organisationen und privaten Personen vorliegen. Darunter Schreiben von Bündnis 90 die Grünen, dem Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma, Romano Sumnal e.V., dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Sachsen e.V., Comparti Chemnitz, und vielen privaten Freunden. Doch auf sechs der neun Mitglieder der Härtefallkommission hatte das keine ausreichende Wirkung.

Die Kommission sprach sich gegen das Ersuchen für Robert beim Innenminister aus. Ausschlag gebend für das mehrheitliche Abstimmverhalten der Kommission war nicht, dass Robert sein ganzes Leben lang in Chemnitz gelebt hat, die Schule beendete, unter Schwerstbedingungen eine Ausbildung absolvierte, in Sportvereinen integriert war, sich in verschiedenen Organisationen ehrenamtlich beteiligte und sich parteipolitisch bei Bündnis 90 die GRÜNEN engagierte. Ausschlaggebend war für die Kommissionsmitglieder vielmehr ein Delikt, das bereits seit fünf Jahren abgeschlossen ist. Obwohl Robert in den Jahren davor und danach sich nichts weiter zu Schulden kommen ließ, war die Straftat für die Kommission das Maß aller Dinge.

„Sobald man als Mensch ausrutscht, der als Migrant gelesen wird, ist man auf einmal nicht mehr Mitglied der Gesellschaft, sondern wird nur noch als „Migrant“ stigmatisiert.“

Aus unserer Sicht ist es ein Armutszeugnis, die Biographie eines Menschen auf diesen Sachverhalt zu reduzieren. Denn damit kehrt die Kommission die eigentlichen hard facts unter den Teppich.

Robert hat 27 Jahre straffrei in Sachsen gelebt, sich regelmäßig um Arbeit bemüht und zahlreiche Arbeitsangebote bekommen, die er aufgrund eines kontinuierlichen Beschäftigungsverbots nicht annehmen durfte. Trotz dieser und weiterer unzähliger Hürden schaffte er es, sich erfolgreich in der sächsischen Gesellschaft zu integrieren. Auf sozialer Ebene pflegt er zahlreiche Kontakte und Freundschaften in der deutschen Mehrheitsgesellschaft; kulturell ist er Teil der sächsischen Gesellschaft – seine Erstsprache ist Deutsch, teils eingefärbt durch den sächsischem Dialekt; auch ökonomisch hätte er sich integriert, wenn man ihn gelassen hätte. Was macht es mit einem Menschen, der trotz abgeschlossener Ausbildung nicht arbeiten darf, der es aber es doch zu etwas bringen möchte? Ist es unwahrscheinlich, dass Menschen kleinere Straftaten begehen, wenn man sie jahrelang nicht arbeiten lässt? Es erscheint uns aus menschlicher und politischer Sicht zumindest unverhältnismäßig und fragwürdig, Straftaten als Begründung für eine Abschiebung heranzuziehen oder gegen die Integration von Menschen aufzuwiegen. Robert hat seine Strafe längst abgesessen und hat allemal genug an Abschreckungspolitik erlebt, als dass er noch einmal straffällig werden würde. Eine Abschiebung von Robert zerstört all das, was er sich bisher in seinem Leben in Chemnitz aufgebaut hat. Für Robert verstetigt sich mit dieser Entscheidung, was er jahrelang zuvor bereits erlebt hat:

Meine Zukunft wurde von den Behörden schon früh festgeschrieben. Schon als ich die Schulbank gedrückt habe, haben die Behörden festgestellt, dass sie mich mit 18 Jahren abschieben möchten. Aus Sicht der Behörden sollte ich in Deutschland keine Perspektiven haben. Und somit war schon von Anfang an meine ganze Zukunft verdorben: meine ganzen Qualifikationen und ehrenamtlichen Arbeiten, die ich in Deutschland gemacht habe.

Aus unserer Sicht erfüllt Robert die Kriterien eines faktischen Inländers. Verfassungsrichter Ulrich Maidowski erläuterte in einem Zeitungsinterview (taz, 25.01.2019) den Rechtsbegriff des faktischen Inländers:

Faktische Inländer sind Menschen, die viele Jahre ihres Lebens – häufig ihre gesamte Kindheit und Jugend – in Deutschland verbracht haben oder sogar hier geboren sind und sich in unsere Gesellschaft eingefügt haben, die aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Sie sind hier verwurzelt, haben enge Bindungen an die deutsche Gesellschaft, während sie ähnlich starke Bindungen an den Staat ihrer Staatsangehörigkeit nicht entwickelt haben.

Genau das trifft auf Robert zu. Was hat Chemnitz davon, einen integrierten Bürger abzuschieben und einen schlechten Ruf zu bekommen, noch bevor sie sich nächstes Jahr als Kulturhauptstadt rühmt? Wem nützt das außer der sächsischen Abschiebestatistik und den rechtspopulistischen Diskursen?

Die Ausdauer und Entschlossenheit, die Behörden und Politiker*innen an den Tag legen, die sich für Roberts Abschiebung einsetzen, befeuern die aktuelle gefährliche Debatte um „kriminelle Ausländer“, die mittlerweile in vielen unterschiedlichen politischen Räumen für einen rassistischen Konsens sorgt. Dieser gefährliche Angstdiskurs, der sich an dem Attentat von Solingen hochschaukelt, hat das Potenzial, die ohnehin hoch angespannte Situation hierzulande weiter aufzuheizen. Während alle von dem einen Solinger Attentäter reden, bleibt völlig unbeachtet, dass es in Solingen dieses Jahr bereits einen anderen Brandanschlag auf ein Haus gab, in dem überwiegend Roma lebten (2). Der Brandanschlag vom 25. März 2024 kostete eine gesamte junge Familien das Leben, darunter ein Kleinkind und ein Säugling, und forderte viele weitere Verletzte. Diese Opfer, und auch der rassistische motivierte Täter von Solingen werden bei der aktuellen Debatte ausgeblendet. Lebensweltliche Kontexte bleiben unbeachtet. Hochrangige Politiker sprechen jetzt darüber, wie man um europäische Abschieberegelungen herumkommt und europäisches Migrationsrecht in Deutschland aushebeln kann.

Mit diskursiven Schlagwörtern wie „nationale Notlage“ und „kriminelle Ausländer“ wirkt es, als entwickle sich der „Chor der Abschiebewütigen“ (2) langsam zu einer Hetzjagd, die Beute fordert. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob die Opfer als „Terroristen“ oder als „andere Kriminelle“ kategorisiert werden. Sie treffen auch Menschen wie Robert in ihrer ganzen menschenunwürdigen Härte.

Robert darf nicht nach Serbien abgeschoben werden, nicht nur, weil er sein ganzes Leben in Sachsen gelebt hat und zu Serbien keine Verbindung hat, sondern auch, weil Roma in Serbien häufig strukturell von existentiellen Grundrechten ausgeschlossen sind. Alle einschlägigen Berichte des Europarates und anderer unabhängiger Menschenrechtsorganisationen belegen, dass die Lage von Roma in den westlichen Balkanstaaten – darunter auch Serbien – nach wie vor von systematischer Ausgrenzung und Benachteiligungen geprägt ist (4). In ihrer Schwere können sie einer Verfolgung gleich kommen. Auch viele abgeschobenen Roma sind von existentiellen Nöten betroffen, teilweise sogar dadurch, dass sie vor Ort keine Unterstützung erhalten (4). Für die Härtefallkommission stellen die menschenunwürdigen Zustände in Serbien kein Abschiebehindernis dar. Freitag der 13. September 2024 ist als schwarzer Freitag in die sächsische Geschichte der Menschenrechte eingegangen. Robert fasst die Entscheidung zusammen:

„Leider war für die Mehrheit der Härtefallkommission die Würde der Bürokratie unantastbar und nicht die Würde des Menschen.”

Quellen:

  1. Dazu siehe David Muschenich in taz, 12.09.24, https://taz.de/Staatenlos-in-Deutschland/!6036408/

  2. Siehe Leander Badura in freitag, 05.09.24, https://www.freitag.de/autoren/lfb/afd-und-abschiebungen-rassismus-ist-in-deutschland-konsens

  3. Dazu siehe Sebastian Weiermann in ND, 01.04.24, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181121.brandanschlag-adalet-n-in-solingen-fordern-hunderte-gerechtigkeit.html

  4. Europarat. Serbien: Lage der Roma weiter besorgniserregend, 18.12.2019, https://www.coe.int/de/web/portal/-/despite-serbian-authorities-efforts-protection-of-minority-rights-needs-to-be-significantly-improved-roma-situation-still-alarming

  5. Dazu siehe Annette Schneider-Soli, in ND, 07.04.22, https://www.ndaktuell.de/artikel/1162851.roma-in-serbien-leben-mit-dem-nichts

Romano-Sumnal
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