Am 1. Oktober 2025 fand in der großen Kapelle des Leipziger Südfriedhofs eine in Deutschland einzigartige Gedenk- und Beisetzungsfeier statt. Romano Sumnal e.V. – Roma und Sinti in Sachsen führte diese Feier durch – in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Anatomie der Universität Leipzig.
Zum ersten Mal wurden die sterblichen Überreste von drei Roma-Männern, die vor rund 150 Jahren für rassistische Forschungszwecke gesammelt und über Generationen hinweg in wissenschaftlichen Instituten aufbewahrt worden waren, in Würde beigesetzt.
Bis heute wurde kaum untersucht, in welchem Ausmaß Roma und Sinti Teil kolonialer Sammlungspraxen waren und welche Rolle ihr Leid im europäischen Kolonialismus spielte. Mit dieser Beisetzung wird ein bislang übersehener Teil der Geschichte sichtbar gemacht.
Romano Sumnal übernahm die Gestaltung der Zeremonie, um den Verstorbenen endlich Würde und einen Ort des Erinnerns zurückzugeben – gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Zivilgesellschaft.
Wir waren tief bewegt und dankbar, dass so viele Menschen aus Leipzig, aus Wissenschaft und Kultur, aber auch aus anderen Regionen Sachsens und weiteren Bundesländern anwesend waren. Besonders gefreut hat uns das Engagement lokaler Politikerinnen und Politiker sowie Landtagsabgeordneter. Auch Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinde nahmen teil und setzten ein wichtiges Zeichen der Solidarität.
Die Redebeiträge machten deutlich, wie eng Erinnerung, Verantwortung und Versöhnung miteinander verbunden sind.
Der Prorektor der Universität Leipzig, Prof. Jens-Karl Eilers, betonte, dass die Beschaffung, Weitergabe und Nutzung der Gebeine „nicht als unbedacht oder naiv abgetan werden“ könne. Sie seien Ausdruck einer Zeit, in der Wissenschaft Ausgrenzung rechtfertigte statt Erkenntnis zu suchen. Zugleich würdigte er die positiven Entwicklungen am Institut für Anatomie und das Engagement aller Beteiligten.
Prof. Martin Gericke, Leiter der Anatomie und Verantwortlicher der Provenienzforschung, erklärte: „Es ist für uns von großer Bedeutung, die Gebeine an ihre Herkunftsgesellschaften zurückzugeben. Im besten Falle kann es uns gelingen, im Hier und Jetzt etwas an dem Leid zu lindern, das vor langer Zeit begangen wurde.“
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, unterstrich die historische Bedeutung dieses Tages und die Notwendigkeit weiterer Schritte der Aufarbeitung.
Michael Brand, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus, würdigte die Zusammenarbeit zwischen Universität und Romano Sumnal und hob besonders das Engagement der Studierenden hervor, die auf die Gebeine aufmerksam geworden waren.
Auch Stefan Schönfelder vom Sächsischen Sozialministerium betonte, wie wichtig Orte des Gedenkens sind – gerade im Nachhinein – und dass Tage wie der 1. Oktober bleibende Bedeutung haben.
Vicki Felthaus, Bürgermeisterin der Stadt Leipzig, erinnerte daran, dass wir stellvertretend für Angehörige trauern, die nie Abschied nehmen konnten. Sie mahnte, dass das Unrecht, das diesen Männern widerfahren ist, Ausdruck eines Systems war, das Menschen aufgrund ihrer Herkunft abwertete.
Die Botschafterin Rumäniens, Adriana-Loreta Stănescu, verwies darauf, dass auch in Rumänien erst seit wenigen Jahren mit der Aufarbeitung der Versklavung der Roma begonnen wurde.
Der Leipziger Künstler und Communitymitglied Thomas Bittner schuf für diesen Anlass einen Gedenkstein, der künftig den Ort der Beisetzung markiert.
Der Komponist Adrian Gaspar schrieb eigens für die Feier das Werk „Shunen“ („Hört zu“), aufgeführt von Rodin Moldovan (Cello) und Julian Dedu (Violine) – ein musikalisches Symbol für Würde, Trauer und Hoffnung.
Die Gebeine der drei Männer stammen aus Rumänien:
– einer aus Großwardein (Oradea),
– einer wurde 1865 in einem Krankenhaus in Bukarest entwendet,
– einer durch die Plünderung eines Roma-Grabes angeeignet.
Da keine weiteren biografischen Spuren vorhanden sind, war eine Ahnenforschung unmöglich. Gemeinsam verständigten sich Romano Sumnal und das Institut für Anatomie darauf, die Gebeine in Leipzig beizusetzen – als Akt der Verantwortung und Erinnerung.
Die Beisetzung erfolgte auf dem Gelände der denkmalgeschützten Leipziger Grabstätte der Sinti-Familie Franz.
Mit dieser Feier wurde ein erster, aber bedeutsamer Schritt getan: Die Universität Leipzig stellt sich ihrer Geschichte, und Romano Sumnal zeigt, dass Erinnerungskultur, Forschung und Gemeinschaft zusammenwirken können, um Würde zurückzugeben und Unrecht sichtbar zu machen