Leipziger Gedenken an Nazi-Verbrechen: Damals der „Fremdenpass“, heute „Remigration“

Leipzig. Menschen haben Namen. An Menschen zu erinnern, fängt meistens damit an, ihre Namen zu nennen. Finanz Just Rose ist der Name eines Kochs, der in den 1920er und 1930er Jahren mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Leipzig lebte. Er habe einen „sehr guten Ruf“, ist in einer Akte der Kriminalpolizei von 1931 zu lesen. Rose sei „ein anständiger und ruhiger Mann“.
Rose war ein Rom. Die Nationalsozialisten verfolgten Roma und Sinti. Man schätzt, dass die Nazis mindestens 500.000 von ihnen ermordeten. „Heute erinnern wir uns an ihre Schicksale und geben ihnen ihre Namen und Würde zurück“, sagt Gjulner Sejdi, Vorsitzender des Vereins Romano Sumnal, des Verbands der Roma und Sinti in Sachsen. „Wir erinnern uns an die, die nicht mehr sprechen können, damit sich ihre Geschichte nicht wiederholt.“
Weltweites Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
Es ist der 27. Januar 2025, 80 Jahre nach der Befreiung der Todeslager von Auschwitz. Weltweit wird an diesem Tag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. In Leipzig haben sich die Menschen zunächst am Schwanenteich versammelt, an der Skulptur „Geschlagener“, die den ermordeten Sinti und Roma gewidmet ist. David Leonardo Herl, ein 24-jähriger Leipziger Student, berichtet vom Schicksal Roses, des Leipziger Kochs.
Wegen des Vorwurfs der Homosexualität sitzt Rose 1936 sechs Wochen in Haft und wird im Anschluss zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Doch er flieht und taucht unter. Erst 1940 findet die Polizei ihn. Eine achtmonatige Haftstrafe verbüßt er in Zwickau.

Leipzigerinnen und Leipziger legen Blumen nieder: Gedenken am Mahnmal „Geschlagener“ am Schwanenteich in der Leipziger Innenstadt.
Quelle: Wolfgang Sens
Statt danach entlassen zu werden, stecken die Behörden ihn in Leipzig in „Vorbeugehaft“ und entziehen ihm die deutsche Staatsbürgerschaft. Er erhält einen Fremdenpass. 1941 wird er ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Drei Monate später stirbt er, angeblich „auf der Flucht erschossen“.
Eine solche Geschichte mache ihm auch heute noch Angst, sagt Herl. Das Wort „Remigration“ erscheine ihm wie ein Nachfahre des Wortes „Fremdenpass“. Den eigenen Roma-Namen – Leonardo – habe er lange verheimlicht. „Ich hatte Angst, verprügelt zu werden. Erst mit dem Studium in Leipzig traue ich mich zu sagen: Ja, ich bin Rom.“

Gedenken am Denkmal des „Massakers von Abtnaundorf“: Günter Schmidt, Anja Kruse und Burkhard Jung (von links) haben an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Quelle: Wolfgang Sens
Was Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Sorgen bereitet, erklärt er etwa eine Stunde später am Denkmal des „Massakers von Abtnaundorf.“ Jung erinnert an die Empörung vor einem Jahr, als bekannt geworden war, dass einige AfD-Politiker Pläne schmiedeten, Menschen zu „remigrieren“, die nach ihrer Ansicht nicht zu Deutschland gehören. „Jetzt steht die Remigration im AfD-Wahlprogramm, ganz selbstverständlich“, sagt Jung. „Das Radikale wird normal, man gewöhnt sich daran.“
Das Radikale wird normal, man gewöhnt sich daran.
Burkhard Jung (SPD)
Oberbürgermeister von Leipzig
Im April 1945 hatten SS-Wachleute an diesem Gedenkort die verbliebenen Häftlinge des KZ Leipzig-Thekla, eines Außenlagers des KZ Buchenwald, in eine Baracke gesperrt und diese angezündet. Fast alle starben. „Normale Menschen begehen unfassbare Verbrechen. Menschen können sich an alles gewöhnen, offenbar“, beklagt Jung.
Rechtsextreme Partys in früherem Buchenwald-Außenlager
Auch daran, dass in einem weiteren einstigen Buchenwald-Außenlager in Leipzig-Schönefeld, etwa zwei Kilometer südlich von Abtnaundorf, laut Verfassungsschutz mittlerweile rechtsextreme Partys und Konzerte steigen? Anja Kruse von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit möchte sich nicht daran gewöhnen, stellt sie klar.

Eine damals heimliche Aufnahme aus dem Leipziger Hasag-Werk: Zwangsarbeiter beim Zusammenbau von Panzerfäusten.
Quelle: MDR/GfZL-Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig
Noch im Frühjahr 1945, als Auschwitz bereits befreit war, hätten die Nazis ihre Verbrechen in Abtnaundorf, Schönefeld und anderswo weiterhin vor der Haustür der Menschen verübt. „Die Verbrechen waren sichtbar. Trotzdem verschwanden sie danach aus dem kollektiven lokalen Gedächtnis. Es wäre fatal, heute am historischen und politischen Bildungsangebot zu sparen“, warnt sie.