Am 07.04. wurde der 15jährige Arkan Hussein Khalaf in Celle ermordet. Es war ein erneutes Attentat auf unsere Gesellschaft. Doch blieb dies in der allgemeinen „Corona-Krise“ fast unbemerkt. Der Aufschrei blieb stumm, das gesellschaftliche Problem – rechte Gewalt – unbemerkt. Was muss noch passieren, wann wird Deutschland endlich wach.
Wir erinnern uns zurück an die Morde in Hanau vor wenigen Wochen und möchten daher noch einmal mit einem Text von unserer Kollegin Rika Dauth daran erinnern:
Gedanken in Gedenken an die Opfer von Hanau
Romano Sumnal e.V. (dt.: Die Welt der Roma), der Verein für Selbstorganisation von Roma in Sachsen, ist tief betroffen über die neun rassistischen Morde von Hanau. Wir trauern und fühlen mit den Hinterbliebenen. Unter den Opfern des Mordanschlags befinden sich drei Angehörige der Roma.
Wir trauern um Mercedes Kierpacz. Die 35-jährige Romni wurde in Offenbach geboren. Mercedes war Katholikin. Als allein erziehende Mutter eines 17jährigen Sohnes und einer dreijährigen Tochter arbeitete sie fast täglich im Kiosk neben der „Arena Bar & Café“, einem der beiden Tatorte des Attentats. Am Tatabend wollte sie im Kiosk gemeinsam mit ihren Freunden schnell noch etwas einkaufen. Mercedes wurde in Offenbach beigesetzt.
Wir trauern um Koloyan Velkov. Der 33-jährige Mann war orthodoxen Glaubens und kam vor zwei Jahren aus der bulgarischen Stadt Mazdra nach Deutschland, um seine Familie in Bulgarien finanziell zu unterstützen. Er arbeitete in Hanau unter anderem im Gastronomiegewerbe. Koloyan hinterlässt einen siebenjährigen Sohn. Sein Leichnam wurde nach Bulgarien überführt.
Wir trauern um Vili-Viorel Păun. Er war 22 Jahre jung und kam in Rumänien in Adunatii-Cupaceni auf die Welt. Vili-Viorel war rumänisch-orthodoxen Glaubens. Mit 16 Jahren zog er mit seinen Eltern nach Deutschland. Vili-Viorel wollte Fliesenleger werden. Weil die Unterstützung seiner Familie oberste Priorität für ihn hatte, stellte er seine Ausbildung zurück und arbeitete als Paketzusteller. Bei seinem Einkauf am Kiosk starb Vili-Viorel, noch bevor er aus dem Auto ausstieg. Er war das einzige Kind seiner Eltern. Sein Leichnam wurde nach Rumänien überführt.
Ein weiteres Todesopfer rassistisch motivierter Gewalt wurde bereits im Juli 2016 der 19-jährige Sinto Giuliano-Josef Kollmann, der mit acht weiteren Jugendlichen während des Attentates des 18-jähirgen Täters David Sonboly im Olympia Einkaufszentrum in München ermordet wurde.
Roma sind in der Öffentlichkeit immer wieder Zielscheibe von öffentlichen Anfeindungen, Ausgrenzung und (institutionellem) Rassismus. Besonders betroffen und ausgeliefert sind jene, die in Deutschland keine unterstützenden Leistungen erhalten oder obdachlos sind. Dennoch findet das Thema Übergriffe gegen Roma in Deutschland in der Öffentlichkeit kaum Gehör. In der Vergangenheit sind Anschläge von Rechtsextremisten in der Regel als Einzeltaten von Menschen eingestuft worden, die weit am äußeren Rand der Gesellschaft stehen oder psychisch krank sind, wie der versuchte Mordanschlag des „Amokfahrers“ in Bottrop und Essen an Sylvester 2018/19, der im Ruhrgebiet mit seinem Mercedes „Kanaken töten“ wollte. Oder auch der „Amoklauf“ von David Sonboly in München, den der Verfassungsschutz als „psychisch kranker Rächer“ derjenigen einstufte, die ihn während der Schulzeit gemobbt haben. In der medialen Aufarbeitung ging es in beiden Fällen weniger um die politische Dimension, rassistisch motivierte Gewalt oder gar Terror, denn um die Personen der Täter und Opfer.
Rassismus gilt aufgrund der deutschen Geschichte als „heißes Eisen“, folglich wird es auch kaum problematisiert, wenn überhaupt, dann von Diskriminierung gesprochen. Im schlimmsten Fall der Tabuisierung von Rassismus werden Opfer zu Tätern gemacht. Beispiellos war hier der „Wattestäbchen-Skandal“, der im frühen Stadium des NSU-Ermittlungsprozesses Angehörige der Sinti und Roma fälschlicherweise zwei Jahre verdächtigte im Jahr 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèlle Kiesewetter ermordet zu haben. Hier ging es wieder einmal weniger um Tat und Motiv, sondern darum wer die Tat begangen hat und wer die Opfer sind. Ausländer scheinen politisch und medial dabei vor allem als Täter interessant zu sein.
Die bewusste Verzerrung der Verhältnisse hat auch bei der AfD Programm, wenn sie gegen Zuwanderer und Muslime hetzt und selbst öffentlich vor Forderungen nicht Halt macht gegen Geflüchtete mit Waffengewalt vorzugehen. Zunehmend militanter Rechtsterrorismus wird hier politisch hofiert. Ohne eine klare Abgrenzung demokratischer Parteien, dem Einsatz rechtsstaatlicher Mittel, aber auch Forschungen zu Motivation und Radikalisierung potentieller Täter werden derartige Übergriffe hingenommen und vermutlich weiter zunehmen. Hanau war eine schmerzhafte Erinnerung daran.
Und tatsächlich sollten dieses Mal Konsequenzen folgen. Angela Merkel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier versprachen nach dem Attentat von Hanau alles zu unternehmen um die entsetzlichen Taten von Hanau aufzuklären und gegen Rassismus, Hetze und Hass vorzugehen. Das Bundeskabinett beschloss gar einen längst überfälligen Ausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus einzuberufen.
Weniger engagiert klingt nun das vorläufige Fazit des Bundeskriminalamts (BKA), das derzeit an dem Abschlussbericht des Attentats von Hanau arbeitet. Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zufolge kommt das BKA nach der Auswertung der Handy- und Computerdaten des Täters zu dem Ergebnis, dass der Täter Tobias Rathjen zwar eine rechtsextreme Tat verübt habe, aber kein Anhänger einer rechtsextremen Ideologie gewesen sei. Nicht rassistisches Gedankengut habe die Tat motiviert, sondern der Versuch, „möglichst viel Aufmerksamkeit für seine Verschwörungstheorien zu bekommen“.
Diese Einschätzung ist aus unterschiedlichen Gründen abwegig: Erstens suggeriert sie, dass die Tat nicht rassistisch motiviert war. Doch aus dem 24-seitigen Manifest, das der Attentäter hinterlassen hatte, geht seine faschistische Gesinnung deutlich hervor. So forderte er darin, dass bestimmte Völker komplett vernichtet werden müssten und phantasierte dass Deutsche „reinrassig und wertvoll“, der Islam hingegen „destruktiv“ sei. Selbst wenn der Täter nicht Anhänger einer rechtsextremen Ideologie war, sondern er sich sein Weltbild aus kruden, eklektischen Anschauungen zusammen bastelte, bleibt seine Tat – und das lässt nicht zuletzt auch an der Wahl seiner Opfer und der Tatorte ablesen – rassistisch motiviert.
Die Interpretation irritiert auch, weil sie nahelegt, dass sich Rassismus und Verschwörungstheorien ausschließen: Würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass rassistische Ideologien nicht wahnhaft sein können?
Sie erscheint auch unlogisch, denn, wenn eine Tat rassistisch motiviert war, wie kann ihr Täter dann kein Anhänger rassistischer Weltanschauungen sein?
Und letztlich , was tut es überhaupt für die Bewertung der rechtsextremen Tat zur Sache, ob der Täter Anhänger einer bestimmten rechtsextremen Ideologie war oder nicht? Anders gefragt: Welche Rolle spielt es für die Angehörigen, ob der Mörder derer, die ihnen das liebste waren, ein typisch sozialisierter Nazi war oder nicht? Die Trauer für Angehörige und Menschen, die anders aussehen, bleibt die gleiche. Die Angst auch. Und für eine demokratische Gesellschaft ist die Tat in beiden Fällen eine reale Bedrohung.
Zu welcher Erkenntnis soll uns dann diese Zweiteilung führen, auf der einen Seite die Tat und auf der anderen die Ideologie? Dass die Tat keinen ernstzunehmenden Verursacher hat? Dass der nette, unauffällige Bürger, der Mitglied im Schützenverein war und keinen Kontakt zur einschlägigen Neonazi-Szene hatte eben kein schlimmer Nazi war, sondern nur geistig extrem verwirrt? Eines steht zweifelsfrei fest: Der gemeinsame Nenner und das Problem faschistoider Weltanschauungen, wie unterschiedlich, verwirrt und einfallslos sie auch sein mögen, heißt Rassismus. Und den machen Menschen, wo auch immer sie tätig sind.